Weitere Eindrücke

Nun sind es schon bald 4 Monate. Vielleicht ist es Zeit, einen weiteren Block zu den Eindrücken nachzureichen.

Die generellen Eindrücke haben sich inzwischen verfestigt. Momentan sind von den 16 Studierenden, die ich im 1. Semester betreue, nur ca. 2-4 anhand ihrer aktuellen Punktezahl überhaupt berechtigt, die Abschlussexamen zu absolvieren. Die anderen haben Hausarbeiten nie oder nicht ausreichend eingereicht, die Zwischenprüfungen nicht wahrgenommen und dann auch auf Verlangen hin kein Arztzeugnis eingereicht oder durch augenscheinliche Inaktivität nicht genügend Punkte in den Examen erreicht. Im zweiten Durchgang kam einer der Studierenden 15 Minuten zu spät zur Prüfung, sass ca. eine weitere Viertelstunde mit glasigen Augen vor seiner Arbeit, ohne auch nur einen Strich zu hinterlassen, und ging dann wieder. Auf der anderen Seite gibt es aber auch -hauptsächlich internationale oder weibliche- Studierende, die starkes Interesse zeigen und so viel wie möglich mitnehmen wollen. Ich habe den Eindruck, dass die georgischen Männer ziemlich aufpassen müssen, dass sie nicht von ihren Frauen in den nächsten Jahren elegant von rechts überholt werden.

Als ich nach dem ersten Zwischenexamen, bei dem die Hälfte der Klasse gar nicht erschienen war, eine kleine ‚Predigt‘ abliess, in der es darum ging, dass es nicht anginge, nach Europa zu schielen und die ganzen Vorteile zu sehen, aber nicht die Konsequenzen, z.B. bezüglich der Leistugsbereitschft in Kauf nehmen zu wollen, dass für ein Fach, das mit 6ECTS bewertet wird, von den Studierenden ein Aufwand von 150-180h erwartet wird und ansonsten der Leistungsnachweis eher nicht erbracht werden wird, erntete ich absolute Fassungslosigkeit beim Publikum. Ich meinte, Georgier seien ein stolzes Volk. Auf was sie stolz seien, fragte ich. „Auf unseren Tanz“, war eine der Antworten. Und was müssten sie tun, um auf den Tanz stolz zu sein? Nach ein wenig Hilfe von meiner Seite kamen sie darauf, dass ohne hartes Training kein Erfolg zu erwarte sei. Aha, die Berechtigung zum Stolz muss also erarbeitet werden. Das war wohl völlig neu für meine Zuhörer, wie den Gesichtern abzulesen war.

Es hat mehr als das halbe Semester an Zeit benötigt, bis für meinen Unterricht im Bereich Internet der Dinge nur ein paar Ports freigeschaltet wurden. Dieses Mal rief ich mitten aus dem Unterricht die IT-Leute an, weil die versprochene Funktionalität (‚By Monday it will all work‘) nicht da war. Und mitten im Unterricht mussten die IT-ler tatsächlich feststellen, dass die Funktionalität nicht da war und (wieder bei jedem einzelnen Arbeitsplatz) während des Unterrichts die Probleme bereinigen. Am erstaunlichsten fand ich jedoch, dass das anscheinend nichts bei ihnen auslöste, keinen Ärger, keine Peinlichkeit, keine Entschuldigung. Es gab mir das Gefühl, dass dies immer so laufe.

Meiner Frau Andrea hat ein Taxifahrer blank in’s Gesicht gesagt. „Wir Georgier sind alle faul.“ Ich würde das selbst nie so platt formieren, glaube aber schon, dass es da noch eine Menge an Potenzial gibt. Gespräche mit lokal Ansässigen ergeben schon immer wieder, dass Arbeit nur gerade minimal erfüllt wird und darüber hinaus nichts erfolgt. Ich denke, dass auch das sich aus der Geschichte dieses Landes, eingeklemmt zwischen vielen Gegnern, erklären lässt. Wenn es sich dauerhaft nur lohnt, für sich und seine Familie zu arbeiten, dann wird man berechtigterweise für andere nicht mehr tun als unbedingt nötig. Im Umkehrschluss bedeutet das allerdings auch, dass -wenn diese Annahme stimmt- nur durch eine Änderung der Gesamtmentalität eine Änderung im Funktionieren der Gesellschaft eintreten kann. Diese kann aber wohl auch nur dann hervorgerufen werden, wenn dieses Gefühl des ‚von Gegnern umgeben sein‘ wegfallen kann, was zum grossen Teil wohl nicht in den Händen der Georgier selbst ligt. Auf der anderen Seite sind sich die Georgier sehr wohl klar darüber, dass sie extrem ihren Traditionen verbunden sind. Sie finden das jedoch tendentiell eher positiv als negativ. Wohin dies führt, kann nur die Zukunft zeigen.

Wir haben inzwischen erfahren, dass die Arbeitslosigkeit, nicht wie offiziell angegeben bei 19% liegt, sondern inoffiziell bei 35%. Wir haben inzwischen einen Bericht gesehen, der zeigt, dass die meisten Samen zu den Weihnachsbäumen (Nordmanntannen), die in Deutschland angebaut werden, von wenigen Pflückern in Georgien auf gefährlichste Art und Weise für kaum Geld geerntet werden, haben gelernt, dass die Georgier beim Bildungssystem anscheinend von ‚unten herauf‘ die gleichen Interessens-, Motivations- und Disziplinprobleme haben, wie ich sie an der Uni erfahre. Das geht so weit, dass Anja und Lotte aufgegeben haben, georgisch zu lernen und den Unterricht nur noch stoisch ertragen. In den meisten Fächern findet kein wirklicher Unterricht statt. Selbst in Fächern, die auf Englisch oder Deutsch gehalten werden, fällt es meinen Töchtern schwer, beim vorhandenen Lärmpegel überhaupt mit zu bekommen, um was es geht. Die Kinder von Bekannten sagen über die Zustände an der Deutschen Schule Tbilisi ähnliches, einer Schule mit sehr gutem Ruf. Es liegt also eher an der Klientel als an der Qualität und Führung einer Schule. Unsere Kinder jedenfalls freuen sich auf Neuseeland, ihre nächste Station, durchaus auch mit der Aussage, dass sie dann wieder in ‚vernünftige‘ Schulen gehen können.

Ich geniesse die Zeit in Georgien immer noch sehr, unterrichte trotz aller punktueller Dysfunktionlität des Systems sehr gerne, nehme alle die neuen Erfahrungen gerne auf und mit. Ich werde jedoch auch eine schweizer Organisation nach meiner Rückkehr deutlich anders zu schätzen wissen. Es gibt wunderbare Menschen hier, wunderbare Landschaften, wunderbaren Wein und wunderbare Momente.

Schule in Georgien

Schulschock

Schule ist ein Thema, das von sehr vielen jungen Leuten als nervig, doof und unnötig bezeichnet wird. Aber immerhin akzeptieren es die meisten und kümmern sich trotzdem darum, weil es immerhin um ihre Zukunft geht. Doch Georgien ist eine Ausnahme. Mein erster Schultag begann mit einem Schock. Es war relativ laut, aber es war ja auch die aller erste Schulstunde. Etwas verwirrt musste ich aber schnell feststellen, dass keiner der Lehrer eine Ahnung hatte, dass ich nun für ein halbes Jahr an diese Schule gehen würde. Ich war mir sicher, das alles geklärt gewesen sei, doch scheinbar sind die Informationen nur bei der Schulleitung angekommen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob es diese Lehrer nicht einfach vergessen haben.

Erster Schultag

Aber zurück zum ersten Schultag. Die Hilfsbereitschaft der Schüler war absolut grandios. Da war ein Mädchen namens Kira. Sie hat mir von Anfang an sehr geholfen. Wo ich wann hin musste habe ich von ihr gelernt. Ausser in Englisch. In Englisch war ich erst in der Anfängergruppe, weil ich das Zimmer für meine Gruppe nicht gefunden habe. Nun, ich habe mich ja bereits über die Lautstärke am ersten Schultag beschwert. Ich habe mich also bei meiner Tischnachbarin Ellene informiert, ob es hier immer so laut sei. Sie meinte, es würde so nach den ersten drei Tagen besser sein. Nach zwei Wochen habe ich aufgehört mich zu fragen, wie lange georgische drei Tage sind.

Erste echte Freundin

Ich habe eben von Ellene erzählt. Sie ist schnell zu meiner allerbesten Freundin geworden. Sie war die zweite Person, die mir so viel geholfen hat. Sie hat sehr viel für mich übersetzt und mir mit den Hausaufgaben geholfen. Das einzige Problem war, dass man hier in Mathematik viel Fortgeschritteneres macht als bei uns in Mitteleuropa. Hier konnte mir auch Ellene nicht weiterhelfen.

Ich gehöre zu einer Gruppe

Ellene hat zwei Freundinnen. Salome und Ana. Diese drei Mädchen haben mich total unter ihre Fittiche genommen. In den Pausen und in Englisch habe sie mir das Leben erleichtert. In Englisch vor allem, wenn die Lehrerin begonnen hat auf georgisch rum-fluchen. Was häufig vorkam.

Jungs…

Ist euch aufgefallen, dass alle Personen, von denen ich bis jetzt berichtet habe, weiblich sind? Das ist tatsächlich kein Zufall, denn Jungs in dieser Schule haben mich nicht sehr beeindruckt. Zumindest nicht Positiv. Die ganze Zeit redeten sie, schrien rum oder warfen Papier durch das Zimmer. Lehrer aussprechen lassen? Keine Option. Aufgaben erledigen? Auch nicht. Und wozu gibt es Tische? Hier für:

Die Zeichnungen sind definitiv sehr gut. Künstlerisch sind die Georgier eh äusserst talentiert. Ich kenne den Jungen, der das hier zeichnete. Er zeichnet sehr viele Monster und Maschinen. Meistens im Mangastil. Ich war extrem beeindruckt als ich eine Mischung aus Drache und Maschine, die er in sein Matheheft gezeichnet hatte, sah. Aber ansonsten war er recht inkompetent.

Einrichtung

Die ganze Einrichtung der Schule ist ziemlich runtergekommen aber alles funktioniert. Ich glaube, es ist auch runtergekommen, weil alles bemalt und angekritzelt ist. An vielen Stellen sind auch Ecken zerschlagen oder Haken abgebrochen. Aber alles tut, was es soll. Was bei uns weiss ist, ist hier gelb oder beige. Die Tische hier sind maximal so hoch wie die Tische, die man bei uns in der ersten Klasse hatte. Am Anfang war es unbequem aber man hat sich schnell daran gewöhnt.

Unterricht

Der Unterricht ist von der Qualität her sehr unterschiedlich. Zum Beispiel in Chemie habe ich extra Unterlagen auf Englisch bekommen aber in Georgisch ist es der Lehrerin total egal gewesen was ich machte. Ihr war eh egal, was alle machten. Alle anderen haben geschlafen, geredet und gezockt. Hier in Georgien legen die Schüler ihre Schultaschen auf den Tisch. Erlaubt oder nicht ist egal. Auf jeden Fall, haben die georgischen Kinder gerne ihre Köpfe darauf liegen, oder ihre Handys darin. Bei zweiter Variante ist der Rucksack normalerweise offen. Den meisten Lehrern ist es egal was die Schüler machen.

Prüfungen

Wie viel hört man bei einer Prüfung im Zimmer? Stifte auf Papier? Nervöses trippeln mit dem Fuss? OK. Das ist normal. Reden? Diskutieren? Wütende Lehrer? Lösungen die von einem Ende des Raumes zum anderen gerufen werden? Ja, hier schon. Aber am meisten hat mich ja immer noch beeindruckt wie zwei Jungs aus der Parallelklasse mit Weihnachtsschmuck um sich gehängt ins Zimmer kamen und das mitten während der Prüfung. Nach der Englischprüfung haben drei Mädchen mit der Englischlehrerin diskutiert, um mit ihr ihre Noten hochzuhandeln. Und die Lehrerin hat mitgespielt. Ich finde das einerseits lustig, andererseits respektlos. Aber ich habe mich entschieden das nicht weiter zu beachten, aber vergessen werde ich es auch nicht.

Schulweg

Mein Schulweg geht etwa 30 Minuten lang. Ich gehe von unserer Wohnung zur nächsten Metrostation, zwei Stationen weit fahren und dann weiter zu Fuss zur Schule. Wenn ich also etwa eine Stunde brauche, um mich fertigzumachen und nicht weiss wie lange ich genau brauche, stehe ich um sieben Uhr auf, gehe um acht, und bin um halb neun da. Ich gehe zum Zimmer, schaue was ich als Nächstes habe und gucke, ob ich im Klassenzimmer bleiben kann. Je nachdem packe ich mein Zeug aus oder gehe in ein anderes Zimmer und packe dort mein Zeug aus. Dann lese ich noch und warte bis der Unterricht beginnt. Meistens sind dann so zwischen sieben und acht Leute da. Manchmal auch nur drei. Nur um anzumerken, wir sind etwa eine zwanzigköpfige Klasse. Hier zwei Bilder in der Nähe meiner Schule.

Lernen

Die georgische Sprache ist wunderschön. Erst recht die Schrift. Aber es ist einfach unlernbar. Ich kann zwar mit georgischen Buchstaben deutsche Wörter schreiben. Aber nicht georgische Wörter. Stell dir vor, du sitzt in einem Café und an den Tischen rund um dir herum sitzen lauter Georgier. Das hört sich schön an. Wie ein leiser wispernder Singsang der durch den Raum wabert. Aber seit ich hier bin, was nun ja schon fünf Monate lang ist, habe ich ein paar einzelne Wörter gelernt und kann bis 30 zählen. Ich könnte in dieser Stadt nicht ohne fremde Hilfe überleben. Auch sonst habe ich in der Schule eigentlich nichts gelernt. Ich habe drei Freundinnen gefunden und eine Kultur kennengelernt, die total anders ist, als alles was wir kennen.

Fazit

Egal was ich hier mitnehme, ein Teil von mir wird in dieser Stadt bleiben. Ich werde Ellene, Salome, Ana und Kira nie vergessen und auch nicht mehr wie gut wir es mit der Infrastruktur in der EMS Schiers haben.

Einkaufen in Tbilisi

Ich bin immer noch nicht weitergekommen mit der Frage nach der Schönheit unserer momentanen Heimatstadt.

Heute zeige ich Euch ein paar Ecken, wo man in Tbilisi einkaufen gehen kann. Wir haben auf der einen Seite diese riesigen Shoppingcenter wie Tbilisi Mall im Norden, die Galleria mitten in der Stadt und Eastpoint in der Nähe des Flughafens. Hier findet man die ganz normalen mitteleuropäischen Ketten, wie H&M, OVS, Zara oder Jysk. Damit hat es sich allerdings mit den uns bekannten Ketten. Die grösste Auswahl im Lebensmittelsektor auf westlichem Niveau bietet Carrefour – ursprünglich französisch.

Im Textilsektor gibt es in den Malls ein grosses Angebot aus der Türkei, das auch qualitativ recht ordentlich ist. Die Angebote bei H&M sowie OVS sind qualitativ wohl der Ausschuss aus unseren Breiten, aber vergleichsweise noch vertretbar, solange die Kinder wachsen. Es gibt quasi keine natürlichen Textilien aus Baumwolle, Wolle oder Seide – zumindest habe ich noch nichts gefunden. In jeder Mall gibt es auch eine ganze Reihe von Geschäften, die eine interessante Auswahl an Kleiderkreationen georgischer Modedesigner verkaufen. So sieht man auf der Strasse auch immer wieder Nähereien. Die angebotenen Kreationen sind teilweise ziemlich gewagt und leider fühlen sie sich meist aus nicht viel besser an, als die Stangenware bei H&M. Oft sind die Fäden nicht abgeschnitten, die Nähte wirken unsauber und die Stoffe oft flimsig. Es zeigt sich einmal mehr dieser Eindruck, dass gute Ideen da sind, ausgeführt werden, aber dann kurz vor der Fertigstellung aufgegeben werden und halt nicht ganz fertig trotzdem verkauft werden. Vielleicht sind auch einige der Geschäfte einfach osteuropäische Ketten, die wir nicht kennen.

Dann gibt es hier die grossen Märkte. Besonders am Stationsquare erstrecken sich die kleinen Verkaufsstände gefühlt über ein quadratkilometer grosses Labyrinth. Hier bekommt man alles. Man braucht Geduld und Mut, sich in dieses Getümmel zu stürzen, wird aber immer mal wieder mit wahren Schmuckstücken belohnt.

Auf der einen Seite wirken diese „Marktgebiete“ total chaotisch aber mit der Zeit kommt man dahinter, dass sich Kleideranbieter, Spielzeugläden, Obst und Gemüsehändler jeweils an einem Ort sammeln. Das bewirkt, dass man etwa unter einem Dach nichts als Tomaten bekommt, um die nächste Ecke nichts als Klopapier und für Waschmittel geht man noch eine Gasse weiter. Es gibt auch keine Preisunterschiede bei den Anbietern, sodass es einfach dem Zufall überlassen bleibt, wer von den Inhabern nun das Geschäft mit einem macht. Die Läden selbst präsentieren ihre Waren einfach in einem riesigen Chaos ohne Sinn und Verstand.

Was wirklich cool ist, ist, dass man eigentlich alle Produkte, die als Schüttware verkaufbar wären auch als solche bekommen kann – also Nudeln, Mehl, Zucker, Salz ebenso wie Nüsse, Bohnen, Linsen, Trockenfrüchte und Waschmittel werden in riesigen Eimern zur Verfügung gestellt und per Schaufel in Tüten gefüllt und abgewogen. Dies ist sowohl auf den Märkten als auch im Supermarkt Gang und Gäbe. Unschön wird das nur, wenn die Eimer nicht geschlossen sind und ein paar Kinder meinen, mit ihren verrotzten Fingern im Mehl Sandburgen bauen zu müssen. Da greift man dann doch lieber auf die bewährte Abfüllung zurück…

Dörrobst in allen Varianten

Auch der Umgang mit Fleischwaren ist hier sehr viel lockerer. Gleich am Eingang zum Lebensmittelmarktgebiet ist eine Fleischzeile. Hier werden ganze Hühner präsentiert, man kann Schweinefüsse kaufen, Leber liegt offen auf dem Tisch und Schweineköpfe lächeln einen (un)glücklich an – die werden auch manchmal noch ganz liebevoll von ihren Anbietern rasiert. Die Qualität wird direkt vom Kunden mit dem Finger getestet, eine Kühlung ist nur in den seltensten Fällen vorhanden. Fische schwimmen im Aquarium im Hintergrund und werden auf Anfrage eben „geangelt“. Man riecht absolut nichts. Ich habe mich trotzdem noch nicht getraut, hier Fleisch zu kaufen.

Der Fleischverkauf im Supermarkt gestaltet sich auch anders als bei uns. Man sieht direkt in die „Fleischküche“, wo Rinder- und Schweinehälften von der Decke baumeln. Durch das Einteilen der Fleischstücke vor den Augen der Kundschaft, sieht man tatsächlich einmal die Arbeit, die dahinter steckt. Alles Fleisch schmeckt hier intensiver, was sicher auch daran liegt, dass das Vieh kleiner ist und man den Kühen und Schweinen gerne auch auf der Strasse begegnet, statt in grossen Bauernhöfen oder Zuchtbetrieben.

Unvergorene Milchprodukte sind vergleichsweise sehr teuer und der Genuss von Milch eher unüblich. Vergorene Milchprodukte sind dann wieder eher finanzierbar, was sicher daran liegt, dass man davon ausgeht, dass Joghurt, Kefir und Konsorten hier in der Gegend erstmals aufgetaucht sind und damit traditionelle Lebensmittel darstellen.

Und dann gibt es noch massenweise kleine Verkaufsläden überall in der Stadt verteilt. Von Blumen über Obst und Kleidern bis traditionelle Süssigkeiten findet man hier eine buchstäblich bunte Auswahl an Köstlichkeiten.

Eindrücke zu den Menschen in Georgien

Nach bald 2 Monaten in Georgien kann ein kleiner Rückblick sicher nicht schaden.

Batumi als erste Stadt war ein ziemlicher Schock: Die Fahrweise liess eine extreme Rücksichtslosigkeit und völlig fehlendes Vorausschauen spüren. Die Leute fuhren ohne Rücksicht auf Vorfahrt oder Sinn so aggressiv, wie ich es noch in keinem Land vorher erlebt hatte. Die Autos sahen auch entsprechend aus. Fehlende Front- und Heckschürzen, teilweise fehlende Karrosserieteile an der Seite oder keine Kotflügel sind keine Seltenheit. Das Interessante ist, dass ich den Eindruck hatte, dass dadurch alle -und zwar auch die extremen Drängler- länger brauchen, um an’s Ziel zu kommen. Georgien hat prozentual fast vier Mal so viele Verkehrstote wie Deutschland, auf die Anzahl der Fahrzeuge umgerechnet sogar fast 10 Mal so viele (Quelle: Wikipedia).

Ein guter Eindruck entsteht beim verlinkten Video. Lauter Standardsituationen in Georgien.

Als wir auf dem Weg nach Kutaissi von den grossen Strassen weg kamen, war der Eindruck von der Umgebung ein grossteils ärmlicher, aber zufriedener. Im Vergleich zu den Bulgariern scheinen die Georgier tendenziell weniger aufzugeben, sondern zufrieden das, was sie haben, zu erhalten.

Wenige Tage später parkten wir mit unserem Wohnmobil und dem Skoda Octavia nahe Zqaltubo bei den Wasserfällen nördlich des Okatse Canyon in einer Weide und fragten beim daneben liegenden Haus an, ob das in Ordnung sei. 2 1/2 Stunden später, nach reichlichem Essen und freundlichster Unterhaltung auf English und „Hand- und Fussisch“ durften wir dann zurück in’s Wohnmobil. Gastfreundschaft pur.

Auf Empfehlung unserer schweizer Bekannten, die ursprünglich der Auslöser für die ganze Reise waren, fuhren wir zu deren Freunden in Tbilisi. Die Aufnahme war ähnlich aufopferungsvoll wie die Erfahrungen bei Zqaltubo. Es war kein Problem, eine Woche auf dem Grundstück mit dem Wohnmobil zu hausen.

Um nicht die ganze Zeit im Wohnmobil zu wohnen, suchten wir eine Wohnung in Tbilisi. Mit Hilfe unserer Bekannten, die viel ihrer Zeit zur Verfügung stellten, war schnell eine passende gefunden. Dann putzten wir 2 1/2 Tage. Alles war voll mit Fett und Belägen. Wir erfuhren dann, dass dies bei Mietwohnungen recht normal sei. Das gab uns erste Verdachtsmomente bezüglich der Servicephilosopie in Georgien.

Leuchten, vor und nach der Entfettung

Entgegen vieler Berichte sprechen nur wenige Georgier -auch in Tbilisi- so gut Englisch, dass eine problemlose Verständigung möglich ist. Auch ein Grossteil der Angestellten in öffentlichen Berufen beherrscht praktisch kein Englisch: Polizisten, Taxifahrer, Verkäufer, Kartenverkäufer in der Metro oder in der Oper, Bankangestellte, Angestellte bei den Mobilfunkanbietern. Bei den jungen Leuten ist es spürbar, dass Englisch in der Schule gefördert wird. Trotzdem ist auch dort die Verständigung keineswegs immer einfach.

Einkaufen etc. gestaltete sich aber nicht nur wegen der Sprachbarriere zum Teil recht schwierig. Ein Zugehen auf die Kundschaft ist eher selten, der Versuch guter Beratung auch. Das Mass an passiver Ignoranz, das der Kundschaft entgegenschlägt, ist manchmal recht beeindruckend. Das gleiche Bild ergibt sich in Gaststätten. Der Service glänzt weder durch besondere Freundlichkeit noch durch anderweitige Qualitäten. Das Essen allerdings, das man dann bekommt, ist eigentlich immer ausgezeichnet. Inzwischen haben wir erfahren, dass die Arbeit im Service in Georgien einen schlechten Status und entsprechende Bezahlung hat.

Es reichte noch für ein paar Tage in Swanetien. Auch hier durften wir wie selbstverständlich bei Bekannten von Bekannten das Wohnmobil auf dem Gelände abstellen und bekamen auch Strom und weitere Unterstützung wie den unkomplizierten Transfer nach Ushguli. Auch hier Gastfreundschaft pur.

Als die Arbeit an der Uni losging, stellte sich heraus, dass das Semester eine Woche nach hinten verschoben wurde, weil die Infrastrukturumbauten noch nicht abgeschlossen waren. Die Absprachen für meine SW-Bedürfnisse im Unterricht waren recht schnell kommuniziert. Drei Wochen später -als der Unterricht begann- war von Seiten der IT noch nichts vorbereitet. Das gab mir gute Gelegenheit, Einblicke in die Arbeitsweise zu nehmen. Alle Räume haben neue Computer, neue Switches. In einem der Unterrichtsräume kommt man in alle Rechner mit dem Passwort ‚123‘, im nächsten Raum geht ohne Account nichts, im dritten Raum braucht man gar kein Passwort. Die Studierenden nehmen ihre Daten mit USB-Sticks von Raum zu Raum, die SW wird auf jedem (!!!) Rechner mit USB-Sticks installiert. Ein durchdachtes Konzept für die Gesamtinstallation (mit z.B. Installation über Netzwerk) scheint genauso zu fehlen wie ein Gefühl der Zuständigkeit der IT-Belegschaft für die Installation. Erst 3 Wochen nach Beginn des Semesters, als ich zum dritten Mal bei meiner Vorgesetzten anmahne, sind plötzlich nach 10 Minuten zwei Mitarbeiter der IT da und gehen von PC zu PC mit ihren Installationssticks. Auch hier scheint die gleiche Servicementalität zu herrschen wie in Gaststätten und beim Einkaufen.

Wir waren in Kacheti bei den Eltern unserer Bekannten zur Weinernte eingeladen. Die Arbeit hielt sich in Grenzen, da es der letzte Tag, der letzte Weinberg und dort die letzten Reihen waren. Die Feier danach war dafür umso opulenter. Wir wurden wie Familienmitglieder behandelt. Nur die Fahrt hin und zurück war aus schon genannten Gründen eher weniger Erinnerungen wert. Es hätte leicht auch unsere ‚finale‘ Heimfahrt werden können, nachdem ein entgegenkommender Fahrer seine Kurvenfahrkünste überschätzt hatte…

Nach den zwei Monaten beginnt sich folgendes Bild zu manifestieren. Jeder bzw. jede, die -auch nur temporär- zur Familie gehört, eingeladen ist oder sont assoziiert ist, wird mit aller erdenklichen Fürsorge umgeben. Von daher rührt wahrscheinlich auch der Ruf der georgischen Gastfreundschaft bei Touristen. Es ist wirklich beeindruckend, welcher Aufwand für die Gäste getrieben wird, welche offensichtliche und ehrliche Mühe gegeben wird.

Für Personen ausserhalb dieses einschliessenden Kreises ist das Interesse extrem verhalten. Das Konzept des Mitdenkens im Bereich des Service ist eher unbekannt, wie wir bei vielen Gelegenheiten erfahren durften, wahrscheinlich aus dem gleichen Grund. In die gleiche Sparte passt auch das Autofahren. Beim Autofahren kommt jedoch noch eine weitere georgische Eigenheit hinzu. Laut Aussage unserer Bekannten geht es beim Nehmen der Vorfahrt nicht um das Brechen der Regeln, sondern um Positionen. Es ist eine Frage des Egos, der Männlichkeit. Dazu passt auch, dass dafür, wie ärmlich es an vielen Orten zuzughehen scheint, die Autos extrem gross und oft auch sehr gut gepflegt sind. Es wurde uns gesagt, dass es einem Georgier tendenziell schwer fällt unter einer weiblichen Vorgesetzten zu arbeiten. Das Institut, an dem ich arbeite, ist stark weiblich geprägt. Ich habe -ausser mir selbst- noch keinen männlichen Dozenten in diesem Institut getroffen. Es scheint, dass Frauen im Schnitt die bessere Bildung haben. Die Chance verstanden zu werden ist grösser, wenn man eine Frau anspricht. Dazu passt auch meine Erfahrung, dass die Studierenden sich sehr unterschiedlich engagieren. Während die georgischen Männer -wenn sie überhaupt erscheinen- wenig Interesse am Fach zeigen, sind die Frauen deutlich engagiert, trauen sich zu fragen und nehmen deutlich mehr mit. Der Machismo ist in der Gesellschaft fest verankert. Das wollen die Georgier zwar nicht so gerne zugeben, aber es blitzt an vielen Stellen hervor.

Als Georgier schliesse ich meine Familie so fest ein wie möglich, Gäste ebenso, aber nicht Zugehörige betreffen mich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass die Grundhaltung noch aus einer Zeit stammt, in der sie sehr viel Sinn machte. Georgien ist ein kleines Land, dass in seiner Geschichte unentwegt von vielen Seiten attackiert wurde und deren Bewohner sich stets irgendwie behaupten mussten. Der letzt Krieg ist gerade mal um die 10 Jahre her. Die nahe und die weitere Familie ist in diesem Kontext eine Versicherung, deren Wert nicht hoch genug geschätzt werden kann.

Fazit: Georgien ist wunderschön, daran besteht kein Zweifel. Georgien hat sehr viele ungemein entgegenkommende, freundliche Menschen. Aber Georgien ist bei längerem Aufenthalt sicher nicht das ultimative Traumland, das man als Tourist erleben kann. Ich lebe gerne hier. Ich arbeite gerne hier. Ich habe wundervolle Bekannte hier. Ich mache mir nur Gedanken über die Erscheinungen und Begebenheiten, die nicht zusammenpassen wollen.

Erster Ausflug

Einen ersten Ausflug in die Stadt unternahmen wir schon am 2. Tag hier. Ein kurzes Kennenlernen und eine Orientierungshilfe sollte es werden. Tbilisi liegt in einem Tal entlang des Flusses Kura und bildet immer wieder Auswüchse weg vom Tal auf die umgebenden Anhöhen wie Arme.

Wir erreichten Tbilisi von Norden her. Dies war uns nicht klar und da wir uns auf alles andere konzentrieren mussten, ist uns das Gefühl für die Himmelsrichtungen hier vermutlich in diesem Moment verloren gegangen. Will heissen: Ulrich bekommt seine Orientierung so langsam und durch ständiges Üben wieder in den Griff und ich habe aufgegeben, mir die geographische Lage dieser Stadt vorzustellen. Ein sehr seltsames Gefühl, wenn man nicht mehr weiss wierum man auf der Erde steht. Inzwischen weiss ich, dass sehr viele Menschen, die von ausserhalb nach Tbilisi reisen, das gleiche Problem haben. Für diese paar Monate werde ich mich wohl wieder an Landmarken orientieren müssen, anstatt mein Gefühl für allgemeine Richtungen nutzen zu können.

Nun unser erster Ausflug: Wie schon in Budapest entscheiden wir uns für die Hop-on-Hop-off-Variante. Den Skoda dürfen wir beim Büro von Georgia Insight stehen lassen und machen uns also erst einmal zu Fuss auf den Weg. Voll und wuselig ist dieser und das obwohl Sonntag ist.

Man sieht – schon unser erster Ausflug ist geprägt von spannender und widersprüchlicher Geschichte. Natürlich sehen wir vom Bus aus nur die schönene Seiten der georgischen Hauptstadt, aber da wir das Glück haben, dass die Führung vom Band nicht funktioniert, bekommen wir quasi einen Privatführer, den wir auch mit eigenen Fragen löchern können.

Lomisa

Gut ausgeruht nach einer wie erwartet ruhigen und dunklen Nacht macht sich die Hälfte unserer Reisegesellschaft auf den Weg zum Kloster Lomisa in der Region Mskheta, das uns als sensationeller und sehr besonderer Ort von einer freundlichen jungen Dame empfohlen wurde. Sie war es auch, die uns durch ihre Übersetzungskünste den Kontakt mit den ortsansässigen Priestern ermöglichte, die uns wiederum prompt eine Flasche hauseigenen Weines schenkten. Wir sind richtig beschämt, dass wir in der Hektik unserer Abreise vergessen haben, ein oder zwei Gastgeschenke auf Vorrat einzupacken.

Also los geht’s. Durch einen wunderbaren klaren Herbstmorgen machen wir uns an den Aufstieg zum Kloster. Die ersten 300 Höhenmeter legen wir auf einem wunderschönen Waldweg durch raschelndes Laub zurück und erreichen dann kurz oberhalb der Baumgrenze den ersten Aussichtspunkt, der mit einer Art kleinem Altar mit Kreuz als Gebetsort markiert ist.

Wir ziehen weiter bis hinauf zum Kloster. Hier leben drei Mönche ganzjährig, die aber auch regelmässig den Abstieg ins Tal auf sich nehmen, um die Versorgung mit Lebensmitteln zu gewährleisten. Ausserdem scheint es Tradition für die allgegenwärtigen Pilger zu sein, jeweils ein Stück Brennholz den Berg hinauf zu tragen.

Obwohl wir sowohl das Kloster als auch den Weg dorthin mit nur wenigen weiteren Wanderern erleben durften, scheint Lomisa eigentlich eine ziemlich wichtige Niederlassung der Orthodoxen Kirche zu sein. Auf jeden Fall drängt sich uns dieser Eindruck auf, wenn wir im Nachhinein etwas über die Geschichte und die Kirche recherchieren, bzw. Freunden von unserem Ausflug erzählen. Was uns ebenso nicht klar war: Wir befinden uns oben bei dem Kloster genau auf der umstrittenen Grenze zu Südossetien.

Der Ort selbst ist unheimlich friedlich und strahlt irgendwie eine grosse Würde aus. Das zugehörige Kirchlein ist sehr eng und karg aber mit unglaublich vielen Ikonen geschmückt, die Wanderer/ Pilger hier herauf bringen. Auch wenn wir statt der erwarteten 400 Höhenmeter schlussendlich etwas mehr als 700 hinter uns gebracht haben, war der Ausflug jeden Meter wert. Die Ausstrahlung dieses Ortes ist einfach zauberhaft.

Kazbegi – Stepanzminda

Wir haben Besuch aus Deutschland! Für zwei Wochen besucht uns meine Schwiegwerfamilie aus Nordrhein-Westphalen. Am Ende der ersten Woche machen wir uns mit zwei Wohnmobilen auf den Weg nach Stepanzminda in der Region Kazbegi. Unter grossem Chaos bestücken wir unseres sowie das grössere der beiden Wohnmobile von Georgia Insight mit allen Notwendigkeiten und machen uns gegen 15:00 auf den Weg nach Norden. Stepanzminda erreichen wir leider erst im Dunkeln und unseren Stellplatz finden wir mitten im Ort, da wo früher angeblich mal ein Zeltplatz war. Jetzt ist dort ein unbefestiger aber sehr hübscher Wald-Park, der sich ziemlich gut eignet, eine Nacht im WoMo zu verbringen.

Unser heutiges Ziel ist der Besuch der kleinen Kirche, die man auf dem ersten Bild unten sieht. Da es bis dorthin immerhin gut 400 Höhenmeter und etwa 4 km sind, ist die Kirche wohl nicht so ganz klein. Alle, die wir nicht gerade fusskrank oder lustlos sind, machen wir uns also auf den Weg nach oben, während die Schmerzgeplagten mit dem Taxi fahren, um uns dort zu erwarten. Dieser Plan geht leider nicht auf, da der Taxifahrer der Ansicht ist, dass 10 min Kirchbesichtigung reichen und man dann besser wieder runterfährt, damit man die nächsten Gäste abzocken kann. Schade.

Uns bleibt leider auch nur begrenzt Zeit die wirklich schöne Kirchenanlage zu erforschen und die sensationelle Aussicht zu geniessen bis uns ein scheinbar dramatischer Wetterumschwung in Richtung des Kazbek zwingt, ebenfalls den Abstieg anzutreten. Da Lotte ungeeignetes Schuhwerk trägt, wage ich mich barfuss auf den Abstieg und bin wirklich erstaunt und begeistert, was ein Paar Füsse so alles aushält.

Unten angekommen werden die WoMos startklar gemacht und wir treten die Heimreise an. Einmal mehr werden wir diese mit einer weiteren Nacht in der Wildnis verlängern und einmal nachsehen, wo in Georgien schöne Pätze für eine Nacht im Camper zu finden sind. Das ist nämlich einfach das schönste am Reisen mit dem Wohnmobil: Wo es schön ist, kann man hier einfach bleiben. Ist Zivilisation drumherum, kommt man immer wieder in Kontak, weil die Mobile doch eher noch eine Ausnahme darstellen und wenn nicht, umgibt einen herrliche Dunkelheit und Stille.

Ist Tbilisi eine schöne Stadt?

Diese Frage hat mir heute mein Freund Christian gestellt. Per Whatsapp. Da ist mir die Anwort zu lang. Ich habe mich entschlossen einfach eine neue Kategorie in unserem Blog zu eröffnen und Stück für Stück darauf zu antworten. Tbilisi ist wunderschön und potthässlich.

Mein erster Eindruck von Tibilisi war Stress pur. Wir hatten eine lange Fahrt hinter uns und sind genau im Feierabendverkehr in der Dämmerung in dieser Stadt angekommen. Ulrich vorneweg, ich mit dem WoMo hinterher. Der Verkehr dicht, die Fahrweise mehr als chaotisch und rücksichtslos und eine der ersten Aktionen eine Spitzkehre nach rechts und etwa 12% Steigung… Bäh!

Durch realsozialistisch anmutende, heruntergekommene Hochhaussiedlungen, die auf riesige Armut schliessen lassen, führt uns das Navi zu dem neu entstehenden Stadtteil Agaraki – im Moment noch mehr Wiese mit ein paar Häusern drauf aber ganz eindeutig im Begriff ein neuer Stadtteil zu werden – für eine eher reichere Klientel. Den Zustand der Strasse könnte man wiederum vorsichtig so beschreiben, dass die dicken SUV’s derer, die sich das leisten können, hier fast Sinn machen.

Bevor wir in diesem Moloch eine Unterkunft für die nächsten Monate finden, dürfen wir einige Tage Schonfrist knapp ausserhalb geniessen. Unsere ersten Vorstösse machen wir von hier aus.

Ich versuche jetzt einfach, meine/ unsere Erlebnisse so Stück für Stück zu erzählen. Ich denke, ich muss hier auf zwei Ebenen erzählen. Eine Ebene sind die „touristischen“ Eindrücke, die wir aus dem Erkunden der Sehenswürdigkeiten in Tbilisi gewinnen und die zweite Ebene ein „normales“ Leben, dass sich für uns aus dem langen Aufenthalt ergibt.

Wir sind jetzt seit über einem Monat in Tbilisi. Eigentlich eine Schande, dass ich nicht schon angefangen haben, Euch von unserem Aufenthalt zu berichten. Also legen wir los…

Weinernte in Kachetien

Heute ist ein besonderer Tag. In Georgien wird der letzte Erntetag gefeiert und wir sind zu Gias Familie nach Jimiti eingeladen worden, dort bei der Weinernte zu helfen und anschliessend am traditionellen Festmahl teilzunehmen.

Früh um 8:30 geht es auf nach Kachtien. Nach ca. 80 km biegen wir von der Hauptverbindungsstrasse direkt in den Acker ab.

Das Herbsten ist wie in Fischingen vor einigen Jahren noch. Eine bunte Truppe trifft sich mit Eimern, Küchenmessern und Rosenscheren und unter viel Gelächter, flappsigen Sprüchen und klebrigen Händen werden die prallen Trauben vom Stock geschnitten. Einziger Unterschied: Es ist trocken, warm und eben im Gegensatz zu matschig, kühl und steil…

Süss und prall und sonnengewärmt…

Nach immerhin einer halben Stunde werden wir zum ersten Piknik gebeten. Es gibt dieses wunderbare Steinofenbrot, Eier, Käse, Wurst, Tomaten, Hackfleischbällchen, Bohnensalat und gebratene Kartoffeln, dazu Wasser und Chachcha (ein Traubenschnaps). Ein schöner Brauch ist hier, dass man jedesmal bevor man einen Schluck Alkohol trinkt einen kurzen Dank sagt.

Frisch gestärkt ernten wir die nächsten zwei Stunden lang Trauben und fahren dann zu Gias Eltern auf den Hof. Die elektrische Maischmühle hat etwas Startschwierigkeiten, sodass wir erst noch einen Spaziergang zum nahegelegenen St. Georgs Kirchlein und geniessen die Aussicht über die Kachetische Ebene.

Die Kirche war ursprünglich das Ortszentrum bis die Dorfbewohner mehr oder weniger freiwillig dazu bewogen wurden ins Tal zu ziehen. Nun ist die Wiese, wo das ehemalige Jimiti stand mit kleinen Hütten übersäht. Diese erklären sich folgendermassen: Der Weinkeller jeder Familie ist das Herzstück des Hauses, so wie ihr Wein auch eine Art Visitenkarte darstellt. Gelagert wird der Wein in sogenannten Qvevri (grosse Tonamphoren), die für die Temperatur- und Feuchtigkeitsregulierung in die Erde eingelassen werden. Einer dieser Qvevri ist heilig. Dieser heilige Qvevri wurde nun vor Ort belassen, verschlossen und markiert so das ursprüngliche Haus seiner Familie. In jüngster Vergangenheit sind nun mehr und mehr Bewohner von Jimiti dazu übergegangen, diesen Qvevris wieder ein zu Hause zu errichten und sie teilweise angeblich sogar wieder mit Wein zu bestücken. Es ist so auch offiziell erlaubt, sich aus einem gefüllten Qvevri mit Wein zu bedienen.

Zurück auf dem Hof werden wir wiederum zwei Stunden später verköstigt. Das Essen ist wieder eine Gelegenheit sich sauber zu blamieren. In Georgien läuft das so ab: Man kommt an den reich gedeckten Tisch und isst los. So ungefähr gleichzeitig, aber einfach, wenn man sitzt. Wasser darf man auch trinken. Dann wird Wein ausgeschenkt und jetzt wird es kompliziert:

1. Ein Weinglas ist niemals ganz voll oder ganz leer – leer heisst unter halbvoll

2. Wer einen Schluck Wein trinkt, spricht einen Segen oder Trinkspruch aus – diese reichen vom Dank für die Ernte, später Freunde, dann Familie, dann Eltern (lebende und tote) und können gern mal mehrere Minuten in Anspruch nehmen

3. Nach dem “Gaumarjos” wird das Glas erhoben, auf einen Zug leer getrunken und wieder aufgefüllt – wer seine Sinne beeinander behalten will, lässt sein Glas stehen. Das ist in Ordnung, aber Nippen nicht.

Beruhigend ist noch, dass die Gläser nur so in etwa einem Achtele entsprechen.

Danke, das war wunderschön

Der Wein aus den tönernen Gefässen schmeckt völlig anders als unser klarer durchsichtiger Weisswein. Er ist auch sehr viel dunkler. Ulrich erklärt den Geschmack etwa so: Wie Vinsanto nur nicht süss. Wir müssen mal sehen, ob er daheim schmeckt. Sicher bringen wir welchen mit, wenn wir heimkommen.

Gegen 18:00 leert sich die Tafel und auch der Hof. Mit der deutlichen Warnung doppelte Vorsicht auf der Heimfahrt walten zu lassen, da in der ganzen Region solche Feste gefeiert werden, machen wir uns auf den Weg zurück nach Tbilisi. Die Fahrt ist auch deutlich anstrengend und es gibt mehr als eine brenzlige Situation, die Ulrich aber ausgezeichnet meistert. Autofahren ist hier einfach die Hölle und sich die Strasse mit Betrunkenen zu teilen, macht die Sache auch nicht besser.

Mestia und Heimweg

Und schon bricht unser letzter Tag an. Naja so halbwegs, da wir den Heimweg wieder in zwei Etappen angehen.

Der Blick zurück in die Berge zeigt sich, wie kalt der letzte Tag und die Nacht waren. Ushguli ist bestimmt total verschneit.

So bleibt uns heute Morgen noch Zeit, endlich das Svaneti Museum zu besuchen während Ulrich sich um seine Vorlesungen kümmert. Lustigerweise gibt es in dem wirklich sehr interessanten historischen Museum gerade im Moment eine Sonderausstellung, die die Schweiz mit Georgien vergleicht. Die Gemeinsamkeiten sind ganz schön verblüffend…

Mittags machen wir uns auf den Weg. Wir möchten unterwegs noch herausbekommen, ob es auch andere Übernachtungsplätze auf dem Weg nach Mestia gibt, die sich für eine Reise mit dem Wohnmobil eignen. Es gibt davon eigentlich eine ganze Reihe am Rand der Strasse durch das Haupttal in Richtung Mestia. Wir entscheiden uns aber, wieder an dieselbe Stelle wie auf dem Hinweg zu fahren, weil die Aussicht einfach zu verführerisch ist.